Fußball-Presseschau
"Nigger, Kanacke und Affe"
Die deutsche Presse ringt mit dem Stinkefinger-Skandal beim HSV. Der Übeltäter selbst kommt glimpflich davon. Stattdessen sorgt man sich um den Verstand der hysterischen Fans. stern.de und indirekter-freistoss.de blicken in die Gazetten.
Ein neuer Fall von Rassismus in der Bundesliga/Champions League? "allesaussersport" entnehmen wir, "dass beim 'Stinkefingerskandal' die Aktion eben nicht nur von Atouba ausging, sondern massive, rassisistische Beschimpfungen vorausgingen." Belegt wird dies mit Zitaten aus der Hamburger Presse und durch Aussagen mit Fan-Vertretern. Demnach sei der Kameruner Fußballprofi unter anderem als "Nigger, Kanacke und Affe" beschimpft worden.
Ein anderer Besucher, der die Partie auf der VIP-Tribüne verfolgt hatte, sagte dem "Hamburger Abendblatt": "Da waren Beschimpfungen wie Neger oder Nigger fast schon die harmlosesten Ausdrücke." Die Schlagzeilen der Bild-Zeitung, die heute "nackte Madeln in Dirndln" zeigt und sich sehr über Atouba empört, kommentiert "allesausserport": "Das ist die Journalistenbrut, die durch einseitige Berichterstattung für solche Ausfälle von Seiten des Publikums mitverantwortlich ist."
Publikum wie Spieler überfordert
Den Fall Atouba ordnet die "FAZ" historisch in die Mittelfingerrechtssprechung ein und rät zu Milde und Augenmaß: "So ist der Mensch nun mal: Fühlt er sich beleidigt, beleidigt er gern zurück. Von Profis wird erwartet, dass sie das runterschlucken - mag das Publikum noch so launisch oder ungerecht sein. Doch sollte man ein wenig Nachsicht üben mit mancher Überreaktion. Meistens tun das auch die Sportgerichte, die etwa den Bielefelder Vata oder ManU-Star Cristiano Ronaldo nach unfeinen Fingerzeigen gegen pöbelndes Publikum mit einer Sperre von je nur einem Spiel davonkommen ließen. Der Unterschied zu Atouba ist, dass er vom eigenen Publikum ausgepfiffen wurde, dass er das eigene Publikum beleidigte - eine Kettenreaktion, die der tristen, unerwarteten Lage eines Champions-League-Klubs in Zweitligagefahr geschuldet ist. Publikum wie Spieler scheinen davon überfordert. Wie man die Wogen glättet, zeigte Christoph Daum: Den 'Stinkefinger' von Torjäger Kirsten konterte er so: 'Er hat mir signalisiert, dass er in einer Minute ausgewechselt werden möchte.' Ein Fall von Mittelfingerspitzengefühl."
Bei jeder Grätsche bebte die Arena
Unter dem Titel "Am Rande des Nervenzusammenbruchs" sorgt sich die "FAZ" um Gemütszustand und den Verstand der Hamburger Fans: "Der Fußball in Hamburg ist derzeit nicht mit normalen Maßstäben zu messen. Die Relationen sind total verrutscht, der Hamburger SV führt Komödie, Tragödie, Schurkenstück und Bauerntheater gleichzeitig auf, und ein bisschen Brecht ist auch dabei, weil das Publikum plötzlich von den Bänken springt und in die Hauptrolle drängt. Es gibt nur leider keinen Regisseur, der sagt: 'Stopp! Alles auf Anfang.' () In dieser Partie ging es um nichts mehr, doch es wurde eine denkwürdige Partie vor hysterischem Publikum: Bei jeder Grätsche bebte die Arena, bei jedem Fehlpass pfiff das halbe Stadion. Es war unheimlich. Es wäre schön, wenn sich dieser HSV bald wieder wie ein normaler Fußballklub benehmen würde.“ Die "SZ" bringt das Chaos auf den Punkt: "Ausgepfiffen, ausgewechselt, ausgerastet - beim Hamburger SV geht jetzt sogar schon das Siegen schief."
Am Ende war Werder gar nichts
Die Presse ringt um Fassung, weil ihr Liebling Werder Bremen von Barcelona den Tarif bekannt gegeben bekommen hat. Werder Bremen würden die Mittel fehlen, urteilt die "Financial Times", um Barcelona in deren Heimat zu bezwingen und entlarvt alle, die auf Werder gesetzt hatten, als Träumer: "Werder ist eine der besten 16 Mannschaften Europas, auch wenn es nun nicht die Runden der besten 16 erreicht hat. Sie sind gegen zwei der besten vier oder fünf ausgeschieden, Chelsea und Barça, und das einzige Irritierende daran war, wie viele in Deutschland vor dem Dienstag überzeugt waren, Werder könnte im Camp Nou bestehen. Diese Elf hat nicht die Charakteristiken, um in Barcelona Gewinn zu machen. Werder ist am stärksten, wenn es den Ball schneller und sicherer passt als der Gegner - aber das schafft niemand in Barcelona. Dort braucht es ein Team, das Barça den Spielraum erstickt. So durchlitt Werder eine Identitätskrise: Es wusste nicht mehr, was für eine Elf es sein wollte; die bekannte, die den Ball und den offenen Vergleich sucht, oder eine, die sich gegen ihr Naturell einigelt. Am Ende war Werder dann gar nichts."
Die Schöne unter den Biestern
Deprimiert und gequält gesteht die "SZ" eine ästhetische Niederlage: "Der FC Barcelona, der Klub aus der Stadt, in der Gaudi wirkte und Picasso sein Studium der Künste begann, diese begnadeten Meister also haben nur ein kleines bisschen mit den Formen und Farben spielen müssen, um die Bremer wie primitive Landschaftsmaler aus der Provinz aussehen zu lassen, deren plumpe Motive der röhrende Hirsch und die grasende Heidschnucke sind. Ein Spiel, eine Halbzeit nur - und der deutsche Fußball steht dem spanischen Art-Déco-Stil mal wieder gegenüber wie ein alter Bauernschrank. Als wäre das nicht alles schon schlimm genug, diese Dilettanten-Tournee im Uefa-Cup, die sagenhaft peinliche Punkteverweigerung des HSV in der Champions League. Nun ist sich auch noch Werder Bremen, die Schöne unter lauter Bundesliga-Biestern, beim Abschlussball selbst auf die Schleppe getreten, gestolpert und mit dem Kopf in die Torte gefallen."
So gut sein wie die Besten
"Weiter so, Werder!" ruft die "FAZ" hingegen den Bezwungenen Mut zu, an ihrer - vorbildlichen - Strategie festzuhalten: "Werder Bremen hat sich ehrenvoll aus der Champions League verabschiedet. Zwar wurde die Mannschaft zeitweise vorgeführt, aber solche Minuten muss man manchmal wie ein Naturereignis über sich ergehen lassen, ohne in übergroße Selbstzweifel zu stürzen. In seinen genialen Momenten ist Barcelona unschlagbar. () Bei Werder ist der Wille zum Lernen spürbar, der vielen Klubs in der Bundesliga abhanden gekommen ist. Nicht Bayern München ist ihr Maßstab oder die Leistung, die genügt, gerade noch den Einzug in irgendeinen Europapokal zu ergattern. Werder will so gut sein wie die Besten und tut alles dafür. Wer diesen ehrgeizigen Weg eingeschlagen hat, darf zwischendurch ruhig einmal scheitern."
Deep Fritz gegen Deep Fritz
1:1 gegen Inter Mailand - die "SZ" schließt sich der Wertung Uli Hoeneß', der von einem Feinschmeckerschmaus gesprochen hat, nicht vollumfänglich an: "Erfolgreich wandten die Münchner gegen die Italiener deren Strategien an, sie verschleppten das Tempo, zogen den Rückpass dem Risiko vor und warteten hartnäckig auf einen Fehler; zum Leidwesen mancher Zuschauer, die sich vorkommen mussten wie beim Duell zweier Schachcomputer. Deep Fritz gegen Deep Fritz - Neutralisation auf hohem Niveau."