Rückkehr zum Wesentlichen
Von Klaus Bellstedt, Bremen
Ärmel hochkrempeln und jeden Meter umpflügen: Bremens Rumpfteam hat mit längst vergessenen deutschen Fußball-Tugenden den renommiertesten Club der Welt in die Knie zwingen können. Leidenschaft schlägt Klasse, Einsatzwille siegt über Arroganz: Der 3:2-Überraschungcoup gegen Real Madrid ist in seiner Wertigkeit hoch anzusiedeln.
Thomas Schaaf mag kein Rampenlicht. Er mag auch kein Blitzlichtgewitter. Der Trainer von Werder Bremen ist eigentlich ein scheuer Mensch. Und so kam es dem stoischen Coach der Norddeutschen ganz gelegen, dass nach dem 3:2-Überraschungserfolg seiner Männer gegen die renommierteste Vereins-Mannschaft der Welt das ganze Weser-Stadion mitsamt seinen 37.000 Fans 14 grün-weiße Spieler euphorisch hochleben ließ. Thomas Schaaf schaute sich das muntere Treiben beinahe regungslos und aus sicherer Distanz an. So, wie er es liebt. So, wie er es nach großen Spielen häufig praktiziert.
Schaafs - nennen wir sie ruhig - 'Glorreichen 14' hatten gerade eine Partie abgeliefert, an die man in Bremen wohl noch lange zurückdenken wird. Das liegt nicht so sehr an der Tatsache, dass das kleine Werder Bremen das große Real Madrid schlagen konnte. "Wenn sie mal die Zeit haben, können sie ja mal zählen, wer uns heute alles gefehlt hat." Die Worte von Werders Coach nach 93 atemberaubenden Kampfminuten dienten als Erklärung dazu, warum der Sieg gegen den spanischen Seriemeister in seiner Wertigkeit gar nicht hoch genug einzuschätzen ist.
Es gibt ihn noch, den Fußball-Gott
Fünf Leistungsträger, allesamt Nationalspieler, musste der Trainer ersetzen. Vor allem das Fehlen des genialen Regisseurs Diego schmerzte. Der hatte im Hinspiel im Santiago-Bernabeu derartig aufgetrumpft, dass ihm hinterher halb Madrid zu Füßen lag. Diego saß im Weser-Stadion eine Sperre ab, der Rest fiel verletzungsbedingt aus. Und noch nicht einmal fünf Minuten waren gespielt, als sich mit Clemens Fritz der Nächste mit einer Muskelzerrung abmeldete.
Wie um Himmels Willen sollte man gegen die "Galacticos", so nannte man Real einst zu Beckhams Zeiten, bestehen? Vranjes, Hunt und Tosic heißen die Backups bei Werder. Raul, Robinho und van Nistelrooy heißt der Sturm bei Real Madrid. Gute Nacht, Marie! Gute Nacht, Marie? Dass doch alles ganz anders kam ist das herrlich Faszinierende am Fußball. Ein Rumpfteam, vom Papier her der anderen Mannschaft haushoch unterlegen, schafft es, mit unbändigem Kampfeswillen und also mordsmäßigem Einsatz die Gesetzmäßigkeiten der Champions League aus den Angeln zu heben. Es gibt ihn noch, den Fußball-Gott. Am Mittwoch, bei klirrender Kälte am Weser-Bogen, muss er Bremer gewesen sein.
Werder kämpft sich in die Partie
Werder legte ein Start nach Maß hin, ging durch ein Stocher-Glücks-Tor des Schweden Markus Rosenberg früh in Führung. Aber der Treffer gab den Grün-Weißen zunächst nicht die nötige Sicherheit. Immer wieder sorgte Reals beschriebener Monstersturm für Verwirrung in der Bremer Defensive. Prompt fiel der Ausgleich durch den später wegen seiner provozierenden Spielweise gnadenlos ausgepfiffenen Robinho.
Madrid wirkte kreuzgefährlich, ballsicherer und dem 2:1 näher als Werder. Das fiel dann doch auf der Gegenseite, weil kein Spanier in der Lage war, Rosenbergs Husarenritt auf der rechten Seite zu stoppen. Der Schwede brachte dann noch die Flanke in die Mitte, Sanogo vollendete per Direktabnahme. Das Spiel kippte. Werder arbeitete und kämpfte sich immer mehr in die Partie. Die Grün-Weißen wussten jetzt, dass hier und heute gegen die Übermannschaft von Bernd Schuster etwas gehen könnte. Es ging in die Pause.
Real pomadig und überheblich
Aus der Pause zurück kamen die Bremer wie aufgeputscht. Die Spieler sprinteten durch den Einlauftunnel auf den Rasen. Es schien fast so, als wollten sie den holländischen Schiedsrichter anflehen, endlich wieder anzupfeifen. Der Unparteiische tat ihnen den Gefallen, die Löwen wurden aus ihrem Käfig gelassen. Es folgte die vielleicht kämpferischste zweite Halbzeit der letzten zehn Jahre im Bremer Weser-Stadion.
Jeder rackerte für den anderen, schleppte Bälle, hielt Bälle, biss sich am Gegner fest. Aber Werder setzte auch spielerische Glanzlichter, so wie in der 58. Minute als der überragende Daniel Jensen Aaron Hunt mit einem Geniestreich auf die Reise schickte und der gerade erst wieder genesene Nachwuchs-Mann Hunt die Kugel vorbei an Iker Casillas zum 3:1 in die Maschen zirkelte. Für das pomadige und leicht überhebliche Real Madrid reichte es am Ende nur noch zum 2:3 durch van Nistelrooy (71.), mehr war nicht drin. Und mehr wäre auch nicht verdient gewesen.
Ein neues, großes Spiel
Bei Werder glaubt man nach dem Überraschungscoup gegen Real jetzt wieder an das Weiterkommen in der Champions League. Das Gute aus Bremer Sicht: Man hat es selbst in der Hand. Ein Sieg am letzten Vorrunden-Spieltag in Piräus und die Grün-Weißen stünden im Achtelfinale. Es braucht wieder eines dieser großen Spiele, die Thomas Schaaf so liebt. Er weiß jetzt: Seine Mannschaft ist zu allem fähig. Gut möglich also, dass der Bremer Coach am 11. Dezember irgendwann kurz vor Mitternacht in einem griechischen Stadion in sich gekehrt und abseits vom Trubel über die Faszination Fußball sinniert. Für Werder wäre das ein gutes Zeichen.
http://www.stern.de/sport-motor/fussball/:Champions-League-R%FCckkehr-Wesentlichen/603929.html
Werder triumphiert in Musketier-Manier
Eurosport - Do 29.Nov. 10:10:00 2007
Mit dem 3:2 (2:1)-Erfolg über Real Madrid haben sich die ersatzgeschwächten Bremer im Kampf um den Achtelfinaleinzug in der Champions League eindrucksvoll zurückgemeldet: Es wurde ein Triumphzug des hanseatischen Kollektivs über die Stars der "Königlichen" mit einem überraschenden Comeback.
Aaron Hunt bekam nach dem Abpfiff fast noch einen Krampf in der Hand. Sein Handyspeicher quoll über mit SMS von Freunden und Verwandten, die dem 22-Jährigen zu seinem Comeback nach sechsmonatiger Verletzungspause gratulieren wollten. Erst vor zwei Wochen war der von Knie- und Leistenproblemen geplagte Hunt wieder ins Mannschaftstraining eingestiegen, nachdem er zwischenzeitlich sogar um das Ende seiner Karriere fürchten musste.
"Jeder hat für den Anderen verbissen gekämpft"
Nachdem Tim Borowski am Vormittag mit Leistenbeschwerden passen musste, informierte Trainer Thomas Schaaf den jungen Stürmer, dass er hinter den Spitzen von Beginn an zum Einsatz kommen würde. "Dort habe ich so noch nie gespielt", erklärte Hunt später. "Es war sicher nicht mein bestes Spiel, aber ich habe alles versucht und die Mannschaft hat es mir sehr leicht gemacht. Jeder hat heute für den Anderen verbissen gekämpft", so Hunt weiter, der seine Rückkehr mit dem entscheidenden Tor zum 3:1 krönte und das Erfolgsrezept der Bremer benannte: Zwar verfügten die Madrilenen über die besseren Einzelspieler, Werder präsentierte sich aber als das stärkere Kollektiv.
Getreu dem Motto "Einer für alle, alle für einen" warfen sie sich mit Engagement und Leidenschaft geschlossen gegen das Starensemble von Trainer Bernd Schuster und sollten für ihren Mut und ihren Einsatzwillen belohnt werden. Besonders Daniel Jensen, der die Rolle des gesperrten Diego übernahm, beeindruckte - gab das Lob für seine Leistung jedoch postwendend zurück: "Das war eines der besten Spiele von Werder, die Mannschaft war super. Nicht viele haben daran geglaubt, dass wir das schaffen können. Diese Leistung gibt uns einen Riesen-Schub."
Prominente Ausfälle erneut kompensiert
Mit drei Niederlagen und drei Punkten zuvor noch das enttäuschende Schlusslicht der Gruppe C, haben die Bremer am letzten Spieltag bei Olympiakos Piräus nun die Chance, sogar noch Tabellenerster zu werden. Doch ohne einen Sieg gegen die überraschend starken Griechen wird der Traum vom Achtelfinale in jedem Fall platzen. Der Erfolg gegen Real, dazu die Serie in der Bundesliga von neun Spielen in Folge ohne Niederlage, macht die Bremer aber selbstbewusster denn je: "Wir haben es uns als Mannschaft verdient und es ist sicher unsere stärkste Eigenschaft in dieser Saison, wie wir die vielen Ausfälle immer wieder kompensiert haben", erklärte Abwehrchef Per Mertesacker.
Auf Torsten Frings, Keeper Tim Wiese, Borowski und Diego, dazu ein halbes Dutzend weiterer Profis und nach sechs Minuten Spielzeit auch noch Defensiv-Kraft Clemens Fritz mussten die Bremer verzichten und doch fügte sich die "zweite Reihe" nahtlos an. Immer wieder versuchten sie, das Spiel der Stars aus Madrid früh zu stören, zwangen sie zu zahlreichen Ballverlusten, scheiterten aber - wie die Gäste jedoch auch - des öfteren an ihrer Chancenverwertung. Doch anders als in der Vergangenheit brachen die Hanseaten in der Schlussviertelstunde nicht ein, auch wenn Real durch den Anschlusstreffer von Ruud van Nistelrooy noch einmal den Druck erhöhte.
Kein "Wunder", sondern Pflichterfüllung
"Jetzt ist alles möglich", sagte auch Sportdirektor Klaus Allofs. "Es wird nicht leicht, aber ich bin sehr stolz auf die Mannschaft. Es war toll zu sehen, wie sehr die Mannschaft den Sieg wollte und immer an sich geglaubt hat." Von einem erneuten "Wunder von der Weser" wollte Allofs aber, wie auch keiner der Spieler, sprechen. Man habe schließlich an den Ergebnissen gesehen, dass Madrid nicht unschlagbar sei. "Wir waren in einer ausweglosen Situation, jetzt sind wir wieder mittendrin", fügte der Sportdirektor hinzu.
Mertesacker ging sogar einen Schritt weiter: "Dieser Sieg war lebensnotwendig für uns, nicht nur für die Tabelle, sondern für die internationale Wahrnehmung. Wir standen wie Schalke und Stuttgart in der Pflicht und heute haben wir sie erfüllt."
http://de.eurosport.yahoo.com/29112007/73/champions-league-werder-triumphiert-musketier-manier.html
Bremens B-Elf schlägt Real
Donnerstag, 29. November 2007
Besser geht's nicht
Bremen - Ein Handschlag kann Verschiedenes aussagen. Meistens wird er zur Begrüßung eingesetzt, manchmal aber auch zur Bestätigung einer getroffenen Vereinbarung.
Der Handschlag zwischen Christian Vander und Thomas Schaaf nach dem 3:2-Sieg von Werder Bremen gegen Real Madrid kann durchaus zur zweiten Kategorie gezählt werden.
Während Ersatzkeeper Vander, der den verletzten Tim Wiese in seinem zweiten Champions-League-Spiel hervorragend vertreten hatte, fröhlich zur Journallie sprach, ging Schaaf an seinem Torwart vorbei, hielt kurz inne, und reichte ihm dann die Hand.
Schaaf sah Vander dabei tief in die Augen. In seinem Blick: Respekt und Dank. Frei übersetzt wollte er wohl so etwas rüberbringen, wie: "Danke, dass Du mich nicht hast hängen lassen." Das ganze hätte er auch noch ein halbes Dutzend Mal wiederholen können.
Keine Lust auf Ausreden
Sechs Stammspieler hatten dem Bremer Coach vor dem Spiel nicht zur Verfügung gestanden. Als dann noch Clemens Fritz nach wenigen Minuten vom Platz humpelte, hätte eigentlich jeder Bremer eine passable Ausrede gehabt, warum dies oder das schief gegangen war, warum es am Ende doch wieder nicht gereicht hat und warum Real einfach cleverer war. Keiner hätte ihnen einen stichhaltigen Vorwurf machen können.
Aber irgendwie hatten die Bremer keine Lust mehr auf Ausreden. Die Zuschauer und vor allem der Gegner bekam von der ersten Minute an zu spüren, dass Werder an diesem Abend einfach "alles in die Waagschale wirft, was es zu bieten hat", wie es Real-Verteidiger Christoph Metzelder hinterher formulierte.
Das Spiel hatte definitiv Pokalcharakter - auf der einen Seite der leidenschaftlich kämpfende Underdog, auf der anderen der übertölpelte Favorit. "Wir wussten, dass wir Druck machen und aggressiv zu Werke gehen müssen. Das haben wir von Anfang an umgesetzt. Das war der Schlüssel zum Sieg", meinte Bremens Stürmer Markus Rosenberg.
"Gelaufen, gelaufen, gelaufen"
Mit einem Tor und einer Vorlage war er maßgeblich am Sieg beteiligt und schilderte gerne, wie es dazu kam. "Das frühe Tor war natürlich sehr gut für uns, auch wenn es ein bisschen glücklich war, weil ich den Ball nicht richtig getroffen habe", so der Schwede.
Vor dem 2:1 von Boubacar Sanogo sei er einfach nur "gelaufen, gelaufen, gelaufen", habe dann kurz aufgesehen, geflankt und drin war das Ding. Angesprochen auf sein episches Laufpensum meinte er nur achselzuckend: "Ich lebe noch, oder?"
Wunder? Nicht wirklich
Der Begriff "Werder-Wunder" machte nach dem Abpfiff schnell die Runde. Geschäftsführer Klaus Allofs wollte da nicht mitspielen. Ein Wunder? Nicht wirklich. "Ein Wunder ist eher, wie die Hinrunde verläuft. Es ist ein Wunder, wie viele Verletzte wir haben und auch ein Wunder, dass wir trotzdem oben mithalten können", meinte Allofs.
Die Erklärung für die gezeigte Leistung lieferte Vander: "Wir sind als Team zusammen gestanden und haben eine überragende Mannschaftsleistung abgeliefert. Die Mannschaft hat hervorragend funktioniert." Klingt irgendwie trivial, in einem Mannschaftssport so eine Aussage zu treffen. Aber der Torwart hatte absolut Recht mit seiner Behauptung.
Bei Bremen funktioniert ein System, das viele andere Mannschaften vor Probleme stellt. Während bei der Konkurrenz ab der Nummer 12 die Frustration über die Nichtberücksichtigung zunimmt, scheint es bei Bremen der Ehrgeiz zu sein.
Der schicke zweite Anzug
"Wir haben eine so große Qualität im Kader, weil jeder den Anspruch hat, auch in der ersten Elf zu spielen", sagte Vander. Und gerade in großen Duellen kann man auch passabel aus dem Schatten der ersten Elf treten und auf sich aufmerksam machen.
Daniel Jensen war beispielsweise als Diego-Ersatz gefordert und spielte eines seiner besten Spiele im Werder-Trikot. Aaron Hunt fand nach monatelanger Verletzungspause zwar schwer ins Spiel, krönte seine Leistungssteigerung im Laufe des Spiels aber mit dem vorentscheidenden 3:1.
Und als dann in der Schlussphase noch Martin Harnik ins Spiel kam und dieser Reals Außenverteidiger mehrmals in Verlegenheit brachte, war klar: Der zweite Werder-Anzug taugt heute für den großen Ball.
"Mehr als Hoffnung"
"Hurra, wir leben noch!" - das ist nun die Ausgangsposition für Werder. "Der Sieg war absolut lebenswichtig", meinte Per Mertesacker." Nicht nur, was die Chancen aufs Weiterkommen betrifft. Sondern wir haben wie auch Stuttgart und Schalke der Bundesliga einen guten Dienst erwiesen."
Vor dem Spiel bei Olympiakos Piräus ist nun wieder "mehr als Hoffnung da" (Vander), auch wenn Werder in Griechenland gewinnen muss. Aber Markus Rosenberg hatte da eine einfache Rechnung parat: "Wir haben Real geschlagen, also stehen die Chancen nicht so schlecht, dass wir auch gut genug sind, um Piräus zu schlagen." Ein schlagendes Argument.
http://www.spox.com/de/sport/fussball/championsleague/0711/Artikel/werder-real-nachbericht.html
Bremer Reserve überrennt Real Madrid(Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Wo ist Diego? Wir gucken Werder!(Süddeutsche Zeitung)
Triumph des dezimierten Kollektivs(Der Spiegel)
What a wonderful evening.
I`m still filled up with endorphines.