Die Erinnerung spielt mitWerder Bremen wertet das 1:0 gegen Chelsea als Beleg für den erfolgreichen Reifeprozess der Mannschaft
Von Stefan Hermanns, Bremen
Der Held der großen Bremer Europapokalnächte genoss den Triumph still und alleine. Frank Neubarth, in den Achtziger- und Neunzigerjahren Stürmer beim SV Werder, saß noch nach Mitternacht mit einer Flasche Beck’s bei Kismet 2, einer schmalen Dönerbude nicht allzu weit vom Weserstadion entfernt. Neubarth sagte nichts, aber er lächelte irgendwie entrückt. Eigentlich wirkte ganz Bremen wie entrückt nach dem 1:0-Sieg des SV Werder gegen den Englischen Meister FC Chelsea, nur still war Bremen an diesem Abend nicht.
In einer Kneipe in Fußweite des Stadions hatte es ein Asiate zur Attraktion des Publikums gebracht. Er trug einen Werder-Chelsea-Freundschaftsschal um den Hals, auf dem Kopf eine grünweiße Pickelhaube und rief „Werder!“ in den Saal. „Bremen!“, brüllte die Kneipe zurück. Wenn erst die Fußballtouristen aus Asien kommen, hat man es endgültig zur globalen Attraktion gebracht. (
)
Werder Bremen denkt noch nicht in weltweiten Maßstäben wie Real Madrid oder Manchester United; dem Verein würde es schon reichen, als kontinentale Attraktion wahrgenommen zu werden. Sportdirektor Klaus Allofs sprach davon, „dass wir auch Europa beweisen wollen, dass wir besser geworden sind“. Der Sieg gegen die Megalomanen aus London dient den Bremern nun als wichtiges Beweisstück für ihren Reifeprozess. „Wir waren die bessere Mannschaft“, sagte Torsten Frings. „Chelsea hatte heute keine Chance, uns auszuspielen.“
In Deutschland wird der SV Werder immer noch für sein manchmal selbstvergessenes Offensivspiel geschätzt; in der Champions League aber sind die Bremer mit ihrem Stil oft genug ins Verderben gestürmt. Vor zwei Jahren unterlagen sie Lyon im Achtelfinale 0:3 und 2:7; in der vergangenen Saison scheiterten sie an Juventus Turin, weil sie sich beim 3:2- Heimsieg trotz Führung hatten auskontern lassen. Gegen Chelsea war das anders. „Aus der Defensive haben wir unsere Kraft geschöpft“, sagte Werders Trainer Thomas Schaaf.
Die Erinnerung hatte auch gegen Chelsea mitgespielt. In den letzten Minuten war es die Erinnerung an den späten Ausgleich des FC Barcelona vor einigen Wochen, ohne den die Bremer schon vor dem letzten Spiel fürs Achtelfinale der Champions League qualifiziert wären. Werder ließ sich weit in die Defensive drängen, und immer, wenn den Stars aus London der Ball ins Aus rutschte, jauchzte das Publikum vor Erleichterung. „Wir haben viel gelernt und setzen diese Erfahrungen auch um“, sagte Trainer Schaaf. „Heute haben wir schon nicht mehr so viele Fehler gemacht wie gegen Barcelona.“
Nach dem Spiel bemühte Klaus Allofs die Erinnerung an die Anfänge in der Champions League, an die „unschönen Niederlagen“ gegen Lyon. „Das hat unseren Ehrgeiz doch angestachelt“, sagte er. „Nach und nach haben wir das vergessen lassen. Auf europäischer Ebene wird so was anerkannt.“ Das Gefühl, ernst genommen und respektiert zu werden, scheinen die Bremer ein bisschen vermisst zu haben. Vor dem letzten Spiel haben die Bremer immer noch die Chance, das Achtelfinale zu erreichen, in einer Gruppe, die für Werder von Anfang an als eine Nummer zu groß erachtet wurde. „Keiner von euch hat uns das zugetraut“, sagte Torsten Frings zu den Journalisten. „Aber wir haben bewiesen, dass wir mithalten können. Das ist für uns eine Genugtuung.“
Nur ist die Geschichte leider noch nicht zu Ende, und für Werder kann sie immer noch eine schmerzliche Wendung nehmen. Mit dem Sieg gegen Chelsea hat die Mannschaft einen stolzen Gipfel erklommen und doch besteht die Gefahr, dass sie am letzten Aufstieg wieder in die Tiefe stürzt. Vor einem Jahr genügten den Bremern sieben Punkte für den Einzug ins Achtelfinale; in dieser Saison haben sie bereits zehn, trotz verschärfter Konkurrenz – und es reicht trotzdem nicht: In zwei Wochen beim FC Barcelona benötigen sie ein Unentschieden. „So ein Spiel gab es noch nicht für Werder Bremen“, sagte Verteidiger Per Mertesacker. Der SV Werder, ehemaliger Provinzverein und in seinen Möglichkeiten strukturell immer noch deutlich benachteiligt, kann den aktuellen Champions-League-Sieger schon in der Vorrunde aus dem Wettbewerb kicken.
„Barcelona muss uns ernst nehmen“, sagte Werders Mittelfeldspieler Tim Borowski. „Es wird sicherlich keine leichte Aufgabe für sie.“ Michael Ballack vom FC Chelsea sieht die Bremer nach einigen quälenden Auftritten in der Bundesliga wieder im Aufwind: „Sie werden mit breiter Brust nach Barcelona fahren.“ Mag sein, aber bis dahin sind es noch zwei Wochen. Per Mertesacker sagte: „Wir wollen mit breiter Brust erst mal gegen Bielefeld gewinnen.“ Am Samstag, in der Bundesliga.