19.12.2006
„Die Bundesliga lügt sich in die Tasche”
Rummenigge über nationale Trugschlüsse und Bayerns schwindende Chancen in Europa
Der frühere Weltklassespieler Karl-Heinz Rummenigge (51) ist 1991 beim FC Bayern als Vizepräsident eingestiegen. Heute ist er nicht nur Vorstandsboss des Vereins, sondern sitzt auch im DFL-Vorstand, ist Vize der Vereinigung europäischer Großklubs sowie UEFA-Chef des europäischen Klubforums.
Herr Rummenigge, im Fernsehen träumt Bayern-Fan Max derzeit von einem neuen Stürmer - wovon träumt der Bayern-Boss zum Hinrundenende? Was ist Ihr Fazit?
Karl-Heinz Rummenigge: Einen neuen Stürmer holen wir falls überhaupt erst im Sommer. Generell muss ich sagen, dass wir hier nicht in das kritische Geheule um uns einstimmen, wir sehen die Dinge globaler. Was wir auf der Habenseite vorweisen können, ist ordentlich. Man kann auf der Sollseite bemängeln, dass wir im Moment in Anführungszeichen nur Dritter sind, aber mit einem Rückstand, der einholbar ist. Natürlich müssen wir künftig besseren Fußball spielen, aber grundsätzlich sind wir zufrieden.
Dennoch ist nicht alles wunschgemäß gelaufen.
Rummenigge: Man muss manchen Dingen einfach Rechnung tragen. 1974 saß man im Winter hier mit einer sehr viel nüchterneren Bilanz da. Platz zwölf - mit der mit Abstand größten Mannschaft, die der FC Bayern je hatte, mit Beckenbauer, Müller, Maier. Die Monate nach einer WM sind immer ganz schwer. Alle Rückkehrer sind bis zur Oberkante belastet, körperlich wie mental. Da kann man nicht erwarten, dass man im Hurra-Stil die Bundesliga aufrollt. Es gab Wochen, da war ich auch enttäuscht. Das 0:1 gegen Hannover war der Tiefpunkt. Aber in den letzten Wochen haben wir eine Serie hingelegt. Die Mannschaft hat gezeigt, sie hat Charakter. In der Rückrunde hat sie bessere Voraussetzungen - da muss sie beweisen, welche Klasse sie hat.
Was erwarten Sie vom FC Bayern 2007? Endlich Fußball im Hurra-Stil?
Rummenigge: Nein, der FC Bayern hat nie Hurra-Stil gespielt. Nicht zu Beckenbauer-Zeiten, nicht mit Breitner, nicht mit Matthäus. Wir müssen stabil Fußball spielen. Wir haben gegen kleine Teams elf Punkte liegen lassen wenn wir nur die Hälfte davon geholt hätten, wären wir Erster. In der Rückrunde dürfen wir uns nicht mehr erlauben, dass wir gegen die Kleinen Punkte wegschenken. Mainz war da ein guter Anfang.
Blicken Sie zum Jahresausklang neidisch nach Bremen, wo Werder gelobt wird, Hurra-Fußball und Erfolg zu koppeln?
Rummenigge: Nein. Bremen hat guten Fußball gespielt, wobei ich betonen muss: vor allem auswärts. Ich befasse mich nicht mit Bremen, wir haben das Selbstvertrauen, dass wir sagen: die Entscheidung in der Meisterschaft fällt weiter beim FC Bayern.
Zum Saisonstart wurde das Jahr der Jugend, das Jahr des Umbruchs verkündet. Ist das Projekt schon gescheitert?
Rummenigge: Wir haben mit Mark van Bommel nachgebessert, weil wir nachbessern mussten. Wir müssen die Voraussetzungen schaffen, um kontinuierlich Erfolg haben zu können. Und wir geben hier nicht die Parole aus, dass ein Aufbaujahr bedeutet, dass wir alle Titel kampflos hergeben.
Fehlt dem FC Bayern 2006/07 ein Spieler, der den Unterschied ausmacht? Einer wie Werders Diego, oder doch Ballack?
Rummenigge: Ich gehöre nicht zu den Leuten, die Michael nachtrauern. Alle die, die jetzt sagen, wir hätten ohne ihn ein spielerisches Loch, vergessen, dass das Spielerische bei uns auch mit ihm kritisiert worden ist. Man muss das nüchtern betrachten: Ballack hat wichtige Tore erzielt. Aber für das fußballerische Niveau des FC Bayern hat er nichts Herausragendes geleistet. Womöglich hätten wir mit ihm den einen oder anderen Punkt mehr - aber fußballerisch braucht ihn uns keiner aufs Brot zu schmieren.
Sie haben mal vom „Mythos FC Bayern” gesprochen, den es zu festigen gelte wie weit ist der FC Bayern auf dem Weg, dieses Ziel zu verwirklichen? International hinkt der Klub seit 2001 den Erwartungen hinterher.
Rummenigge: Es ist richtig, dass wir unsere Ziele nicht nur auf das Achtelfinale der Champions League ausgerichtet haben. Man war vom FC Bayern gewohnt, dass er weiter kommt. Aber in Europa findet kein fairer Wettbewerb mehr statt. Es hat nichts mit Fairness zu tun, wenn ein Abramowitsch mit Chelsea im letzten Jahr 200 Millionen Schulden macht und das dann mit der Portokasse ausgleicht. Es hat auch nichts mit Fairness zu tun, wenn spanische oder italienische Klubs sechs Mal mehr aus ihrem TV-Topf kriegen als wir. Wie sollen wir da auf dem Transfermarkt noch in irgendeinen Wettstreit einsteigen? Beim FC Bayern drehen wir ein relativ großes Rad, mit einem gewissen Schuss unternehmerischem Risiko. Bei den anderen ist das Thema Risiko nicht präsent. Wenn die UEFA keine Lösung findet, und zwar schnell, werden bald nur noch fünf Klubs fähig sein, die Champions League zu gewinnen. Und der Wettbewerb ad absurdum geführt.
Wo sehen Sie Auswege?
Rummenigge: Entweder führt man in ganz Europa eine zentrale Vermarktung ein oder wenn die Politik da nicht mitspielt in Deutschland die dezentrale. Eine andere Lösung wäre eine Gehaltsobergrenze. Dann haben Sie über Nacht alle Abramowitsche in Griff. Chelsea hat den selben Umsatz wie wir, etwa 200 Millionen, und wenn zum Beispiel nur maximal 50 Prozent des Umsatzes in Gehälter investiert werden dürfen, sind wir wieder auf einem fairen Niveau.
Halten Sie es für realistisch, dass Europas Großklubs da mitspielen?
Rummenigge: Es geht nicht anders. Ich befinde mich da auf einer Linie mit FIFA-Chef Sepp Blatter, der auch das Oligarchentum im Fußball kritisiert. Die UEFA als Hüter von Europas Klubfußball ist da gefragt. Wenn die UEFA nicht bereit ist, das Problem zu lösen, muss sie die weiße Flagge hissen. Aber dann sage ich hier und heute voraus, dass in den nächsten zehn Jahren kein deutscher Klub mehr ein europäisches Finale erreicht.
Schon jetzt hat die Liga international erneut kein gutes Bild abgegeben.
Rummenigge: Die Bundesliga lügt sich seit Jahren in die Tasche. Die Leute hier glauben, wir sind das Maß aller Dinge. In den 70ern, 80ern da war die Bundesliga die stärkste Liga der Welt. Aber bis auf den FC Bayern bewegt doch in Europa keiner mehr was. Und auch wir haben mittlerweile Schwierigkeiten. Die Liga hatte mal vier Champions-League-Plätze, jetzt sind wir drauf und dran, den dritten zu verlieren - an Koryphäen wie Rumänien. Das sind Fakten, nicht „Rummenigges Märchen”, deshalb sage ich: Wir brauchen in Deutschland ein Umdenken. Ich habe meinen Kollegen im DFL-Vorstand gesagt, dass wir uns mehr mit Visionen auseinandersetzen müssen: wie kommen wir wieder zu besseren Zeiten? Die Zeiten waren nämlich schon einmal besser.
Wo hat die Bundesliga Fehler gemacht?
Rummenigge: Wie waren einfach nüchterner und rationaler im Investmentbereich. In Spanien, Italien, England wurde auf Teufel komm‘ raus eingekauft, ohne dabei auf die Zahlen zu schauen. Jetzt besteht eine Schieflage: Die anderen sind der Bundesliga sportlich überlegen, wirtschaftlich aber irrational geführt. Hier könnte man einen Klub nicht so führen. Wir hatten ja das warnende Beispiel Dortmund, die haben sich wie die Einäugigen unter den Blinden präsentiert - in Italien gibt es sehr viele Blinde, das kann ich Ihnen versichern - und man hat mittlerweile gesehen, wo das alles hingeführt hat.
Die Bühne Bundesliga zieht mittlerweile längst nicht mehr so wie einst - wie sehr leidet darunter der FC Bayern, wenn er sich um Stars bemüht?
Rummenigge: Bei Ruud van Nistelrooy ging es im Sommer nicht ums Geld, da lagen wir und Real nicht weit auseinander. Am Ende muss man sagen, dass der Mythos Real wohl reizvoller war als der Mythos FC Bayern.
Willy Sagnol fordert, einen Top-Star zu holen, um internationale Ambitionen zu unterstreichen.
Rummenigge: Wir sind ja dazu bereit, aber auch Willy muss besser spielen als in der Hinrunde. Beides muss besser werden: seine Leistung und unsere Bereitschaft, einen Großen zu holen. Wir sind jetzt zum Umdenken bereit. Deutschland ist ein Land der Schnäppchenjäger geworden. Aber im Fußball gibt es keine Schnäppchen mehr.
Bei Sagnol ist noch Luft nach oben - und wohl auch bei Lukas Podolski, der bis jetzt noch nicht so richtig angekommen ist.
Rummenigge: Ja, Poldi muss jetzt nachlegen. Es war hier nicht alles leicht für ihn, aber er hat jetzt ausreichend Zeit gehabt, um bei uns reinzuschnüffeln. Podolski hat überragende Talente. Aber in der Rückrunde muss auch er angreifen. Jetzt ist er integriert, jetzt kann er loslegen.
Würde der Einkauf von Klose nicht Podolskis Entwicklung bremsen?
Rummenigge: In erster Linie sind wir nun mal dem Erfolg des FC Bayern verpflichtet. Aber wir sind hier keine Freunde des Klose-Transfers, weil es immer heißt: da wollen die Bayern wieder einen Konkurrenten schwächen. Sollen wir einen aus Cottbus oder Bochum holen, der uns nichts hilft? Uns interessieren nur Spieler, wie ein van Buyten beim HSV oder ein Lucio aus Leverkusen. Ob wir uns um Klose bemühen, haben wir aber noch gar nicht entschieden.
Aber Jan Schlaudraff wollen Sie unbedingt?
Rummenigge: Ja, weil wir glauben, seine Talente kann unsere Mannschaft gut gebrauchen. Er ist schnell, kann dribbeln, legt Tore auf und macht auch welche. Ich hoffe, er hat auch Mut. Die Bremer erzählen ihm jetzt: ,Geh‘ nicht zu Bayern‘ und zählen ihm 15 Spieler auf, die es bei uns nicht geschafft haben. Dabei wird immer vergessen, dass bei uns die meisten jungen Spieler für die Liga ausgebildet wurden. 52 Profis im aktuellen deutschen Fußballgeschäft sind von uns - das sind mit Abstand am meisten.
Bei der Finanzierung der Allianz Arena gab es unverhofft Probleme, als Partner 1860 in Abstiegsnot geriet. Wie groß sind da Ihre Sorgen?
Rummenigge: Solange 1860 in der Zweiten Liga spielt und die Lizenz erhält, ist die Allianz Arena refinanzierbar. Natürlich ist durch den neuen Vertrag im Sommer eine Mehrbelastung auf uns zugekommen. Aber es gab keine Alternative, weder für Sechzig noch für Bayern, alles andere wäre schlechter gewesen. Solange wir unsere wirtschaftlich guten Zeiten konservieren können, entsteht für uns durch die Allianz Arena kein Problem.
Beobachten Sie das Geschehen beim Lokalrivalen mit scharfem Blick?
Rummenigge: Seitdem der Herr Dr. Ziffzer da ist, wird seriös gewirtschaftet. Zum ersten Mal werden Zahlen korrekt präsentiert. Vorher wurde da eher der Mantel der Nächstenliebe drüber gebreitet. Seit Ziffzer da ist, wird Klartext gesprochen, deshalb ist uns wichtig, dass er 1860 erhalten bleibt. Er ist der wichtigste Mann bei 1860. Nicht, wer der nächste Präsident bei 1860 wird, ist die wichtigste Personalie, sondern Herr Dr. Ziffzer.
Wäre es denkbar, dass der FC Bayern dem TSV 1860 den einen oder anderen Spieler leiht, wenn er in Abstiegsgefahr gerät?
Rummenigge: Definitiv nicht, weil sowas immer ein Geschmäckle hätte. Und dem werden wir aus dem Weg gehen. Wir werden 1860 nicht sportlich unterstützen. Wenn sie absteigen, spielen sie in der Regionalliga, müssen aber laut Vertrag weiter in der Allianz Arena spielen.
Was erwarten Sie persönlich von der Rückrunde?
Rummenigge: Viele Emotionen. Der Fan wird jubeln in der Rückrunde. Und das an jedem Wochenende. Es wird bis in die Grenzbereiche gearbeitet werden. Der Fan wird total zufrieden sein, weil es eine emotionsgeladene Rückrunde werden wird.
Und wer wird Meister?
Rummenigge: Ich finde es immer herrlich, wenn wir das ganze Jahr kritisiert werden und dann doch auf dem Rathausbalkon stehen. Wenn uns selbst Herr Oberbürgermeister Ude als Sechziger die Hand schütteln muss. Das ist immer wieder größter innerer Reichsparteitag. Ich weiß nicht, wer Meister wird - ich hoffe, wir. Aber es wird hochinteressant, da bin ich mir sicher.
Das Gespräch führten Armin Gibis und Andreas Werner.